Arbeitsmarkt-Report Hessen, Ausgabe 3. Quartal 2023 – Ein datengestützter Blick auf die (Aus-)Bildungs- und Arbeitsmarktsituation junger Menschen in Hessen
Die Autoren Stefan Feldens und Philipp Fuchs vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) geben im vorliegenden Bericht zunächst einen Überblick über die allgemeine Entwicklung des Arbeitsmarktes in Hessen (Kapitel 1). Der besondere Schwerpunkt dieser Ausgabe liegt auf der (Aus-)Bildungs- und Arbeitsmarktsituation junger Menschen in Hessen (Kapitel 2). Der Report schließt mit einer Zusammenfassung (Kapitel 3).
Der Report wird im Auftrag der LAG Arbeit in Hessen verfasst. Im Folgenden fassen wir die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte des Reportes zusammen. Die Bezeichnung „Arbeitslose, die Bürgergeld beziehen“ verwenden wir als Synonym für den sperrigen Fachbegriff „Erwerbsfähige Leistungsberechtigte im SGB II“. Hier finden Sie den ausführlichen Report „Ein datengestützter Blick auf die (Aus-)Bildungs- und Arbeitsmarktsituation junger Menschen in Hessen“ (AH Q3/2023).
Zweigeteilte Entwicklung am Arbeitsmarkt
Bevor wir auf einige sehr bedrückende Entwicklungen bei der Zahl der junger Arbeitsloser und dem Qualifikationsstand junger Menschen in Hessen eingehen, möchten wir auf den Aufschwung am Arbeitsmarkt hinweisen.
Positive Arbeitsmarkt-Entwicklung in Hessen: 2,7 % mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte als 2019
Nach dem pandemiebedingten Rückgang im Jahr 2020 hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig (kurz: sv-pflichtig) Beschäftigten in Hessen rasch erholt. Im Dezember 2022 gingen insgesamt knapp 2,74 Mio. Menschen in Hessen einer sv-pflichtigen Beschäftigung nach. Gegenüber Dezember 2019 kann ein Zuwachs in Höhe von +2,7 % beobachtet werden, verglichen mit dem Vorjahr beläuft sich der Anstieg auf +1,4 %.
Besonders unter Ausländer*innen (+15,0 %) sowie Menschen aus den acht Asylherkunftsländern (+31,4 %) ist die Zahl der sv-pflichtig Beschäftigten gegenüber Dezember 2019 sehr stark gestiegen. Im Zuge der kriegsbedingten Zuflucht von Menschen aus der Ukraine im Jahr 2022 ist auch bei dieser Personengruppe ein äußerst dynamischer Zuwachs bei der Zahl der sv-pflichtig Beschäftigten zu beobachten (+134,1 %). Ausländer*innen trugen mit einem Anteil in Höhe von 18,4 % wesentlich zum hessischen Beschäftigungsgeschehen bei. (AH Q3/2023, S.1)
Armutsrisiko fehlender Berufsabschluss
Menschen ohne Berufsabschluss sind in Deutschland seltener erwerbstätig und häufiger erwerbs- bzw. arbeitslos. Im Falle einer Erwerbstätigkeit sind sie als Un- und Angelernte überdies oftmals prekär und instabil beschäftigt. Auch ihre beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten sind stark limitiert. Vor dem Hintergrund eines sehr aufnahmefähigen und qualifikationsorientierten Arbeitsmarktes ist es deshalb für die ökonomische Zukunft junger Menschen elementar, dass sie ihre Bildungspotenziale ausschöpfen und einen Ausbildungsabschluss erwerben.
2017 – 2021: Rückgang bei der Zahl der Anfänger*innen in einer beruflichen Ausbildung und bei Maßnahmen im Übergangsbereich
Zwischen 2017 und 2021 ist sowohl die Zahl der Anfänger*innen in einer beruflichen Ausbildung als auch in einer Maßnahme im Übergangsbereich in Hessen zurückgegangen (Anfänger*innen einer Ausbildung: -5,1 %; Anfänger*innen im Übergangsbereich: -24,9 %). Der Übergangsbereich umfasst z.B. berufsvorbereitende Maßnahmen, in denen wichtige soziale und sprachliche Grundkompetenzen sowie z.B. Mathe, EDV und digitale Bildung für den Beruf vermittelt werden. Vor allem Jugendliche ohne, aber auch mit Hauptschulabschluss starten häufig zunächst in Maßnahmen des Übergangsbereichs. Da sich hinter diesen Gruppen überproportional viele männliche und ausländische Jugendliche befinden, sind diese auch unter Anfänger*innen im Übergangsbereich recht stark vertreten.
Ursächlich für den Rückgang dürften zwei Aspekte sein: Einerseits ist die Zahl der Schulentlassenen in Hessen demografisch bedingt in den letzten fünf bis zehn Jahren gesunken (2021 gegenüber 2017 : -10,6 % ), zugleich ist die Abitur- und Studierneigung unter jungen Menschen verhältnismäßig weiterhin stark ausgeprägt. Andererseits schlagen sich die Auswirkungen der Corona-Pandemie in den Daten nieder. So kam es – zeitlich parallel – zu einem Einbruch des Ausbildungsmarktes, der Berufsberatung, -informierung und -orientierung, der Praktika und Ausbildungsmessen sowie der Maßnahmen des Übergangsbereichs.
2022 hat sich die Zahl der Anfänger*innen im Übergangsbereich wieder deutlich erhöht (+10,7 %, vorläufige Zahlen). (AH Q3/2023, S.7)
4 % mehr unter 25- Jährige im Vergleich zu 2019, die keinen Ausbildungsabschluss haben oder derzeit absolvieren
Anhand von Eurostat-Daten kann gezeigt werden, wie viele 18- bis 24-Jährige maximal die Sekundarstufe I durchliefen (z. B. Haupt- oder Realschulabschluss) und in den letzten vier Wochen vor der Erhebung an keiner weiterführenden (Aus-)Bildungsmaßnahme teilnahmen. Innerhalb der entsprechenden Altersgruppe lag der Anteil betreffender Personen in Hessen im Jahr 2022 bei 14,7 %. Im Vergleich zur Vorkrisenzeit hat sich der Anteil um vier bis fünf Prozentpunkte erhöht. Rund jede siebte 18- bis 24-jährige Person in Hessen absolvierte damit keine weiterführende (Aus-)Bildungsmaßnahme, obwohl dies für den entsprechenden Personenkreis von entscheidender Bedeutung für die gesellschaftliche und arbeitsmarktliche Integration im Lebensverlauf ist. Unter Männern (17,2 %) gab es dabei deutlich mehr Betroffene als unter Frauen (12,0 %). Im gesamten Bundesgebiet fielen die Quotenwerte niedriger aus als in Hessen, zudem war der Geschlechterunterschied im Bund nicht so stark ausgeprägt wie in Hessen. (AH Q3/2023, S.9)
20,7 % der jungen Erwachsenen (unter 35 Jahren) in Hessen verfügen nicht über einen vollqualifizierenden Berufsabschluss
Die nfQ-Quote junger Menschen („nicht formal qualifiziert“) zeigt an, wie viele 20- bis 34-Jährige keinen formalen, vollqualifizierenden beruflichen Abschluss vorweisen können. Personen, die z. B. noch berufliche oder akademische Ausbildungen oder Freiwilligendienste absolvieren, werden dabei nicht zu denjenigen ohne abgeschlossene Berufsausbildung gezählt. Die Daten stammen aus dem Datenreport 2023 zum Berufsbildungsbericht, der vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) angefertigt wurde. Im Jahr 2021 betrug der Anteil der betreffenden Menschen in Hessen 20,7 %. Mehr als ein Fünftel aller jungen Erwachsenen verfügte demnach nicht über einen formalen, vollqualifizierenden beruflichen Abschluss. Bei Männern bezifferte sich die Quote auf 22,4 %, bei Frauen lag sie bei 18,9 %. Die Daten sind nur mit dem Vorjahr, nicht aber mit der Situation vor der Corona-Pandemie vergleichbar. Gegenüber 2020 ist die Quote insgesamt um über zwei Prozentpunkte angestiegen. Im Bundesgebiet lag sie im Jahr 2021 bei 17,8 % und fiel damit knapp drei Prozentpunkte niedriger aus als in Hessen. Im Datenreport 2023 wird herausgestellt, dass die Höhe der nfQ-Quote eng mit dem Bildungsniveau und der Staatsangehörigkeit bzw. dem Migrationshintergrund zusammenhängt. Der Anstieg der nfQ-Quote im Zeitverlauf wird wiederum maßgeblich auf Menschen „mit eigener Migrationserfahrung“ sowie „die Fluchtmigration in den Jahren 2015 und 2016“ zurückgeführt. Ihnen mangelt es oftmals an Sprachkenntnissen sowie verwertbaren Bildungsabschlüssen und beruflichen Qualifikationen. (AH Q3/2023, S.9f)
Starker Anstieg bei den unter 25-jährigen Arbeitslosen, die Bürgergeld beziehen, gegenüber 2019
Von den insgesamt im August 2023 erfassten 20.600 unter 25-Jährigen Arbeitslosen entfielen knapp 7.000 auf den SGB-III- (33,8 %) und rund 13.600 auf den SGB-II-Rechtskreis (66,2 %). Die Anteile junger Arbeitsloser an den jeweiligen Gesamtbeständen sind in den letzten Jahren relativ konstant geblieben. Im August 2023 bezifferte sich der Anteil junger Arbeitsloser im SGB-III-Rechtskreis auf 11,8 %, im Rahmen des SGB-II-Rechtskreises betrug er 10,5 %. Blickt man auf die zeitliche Entwicklung der Arbeitslosenzahl der unter 25-Jährigen, dann stieg diese vor allem im Rahmen des SGB-II-Rechtskreises kräftig an. Gegenüber August 2019 und somit im Vergleich zur Situation vor der Corona-Pandemie beträgt der Zuwachs +33,0 % bzw. knapp 3.400 Menschen. Zum Stand August 2023 gab es in Hessen rund 2.900 Langzeitarbeitslose, die unter 25 Jahre alt waren und fast ausschließlich dem SGB-II-Rechtskreis zuzuordnen sind. Gegenüber August 2019 ist die Zahl um +51,2 % bzw. rund 1.000 Betroffenen gestiegen. Unter 25-Jährige machten im August 2023 4,5 % aller Langzeitarbeitslosen in Hessen aus. Im August 2019 betrug der Anteil 4,1 %. (AH Q3/2023, S.11)
Starker Rückgang bei Förderung von jungen Menschen in Qualifikationsmaßnahmen
Die Gesamtzahl der unter 25-Jährigen, die in Qualifikationsmaßnahmen gefördert werden ist seit 2019 stark gesunken. Insgesamt wurden in Hessen im SGB II und SGB III zusammengenommen im Jahr 2019 noch knapp 43.400 unter 25-Jährige gefördert. Im Jahr 2022 waren es nur noch knapp 27.000 junge Menschen. Das entspricht einem Rückgang von -36,6 %. (AH Q3/2023, S.14)
LAG Arbeit fordert: Mehr Qualifikationsmaßnahmen statt weniger
Die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik muss die dramatisch steigende Zahl an unter 25-jährigen arbeitslosen Bürgergeldbezieher*innen viel stärker in den Blick nehmen.
Trotz Sparzwängen sind Bundes- und Landespolitik aufgerufen für die Qualifikation benachteiligter junger Menschen mehr und nicht weniger Geld in die Hand zu nehmen.
Bei dem von der Bundesregierung geplanten Verlagerung der Zuständigkeit für die unter 25-Jährigen Arbeitslosen, die Bürgergeld beziehen, muss dringend verhindert werden, dass die bestehenden Förderstrukturen zusammenbrechen. Denn der steigenden Anzahl von jungen Menschen ohne berufsqualifizierenden Abschluss müssen mehr und nicht weniger qualifizierende Angebote gemacht werden.