Zahl der arbeitslosen Frauen in Hessen gegenüber 2019 stark gestiegen

Arbeitsmarkt-Report Hessen, Ausgabe 2. Quartal 2023 – Ein datengestützter Blick auf die Arbeitsmarktentwicklung bei Frauen und Männern in Hessen

Die Autoren Stefan Feldens und Philipp Fuchs vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG)  geben im vorliegenden Bericht einen Überblick über die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Hessen. Der besondere Schwerpunkt liegt bei dieser Ausgabe auf der Arbeitsmarktsituation von Frauen.

Der Report wird im Auftrag der LAG Arbeit in Hessen verfasst. Im Folgenden fassen wir die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte des Reportes zusammen. Hier finden Sie den ausführlichen Report „Ein datengestützter Blick auf die Arbeitsmarktentwicklung bei Frauen und Männern in Hessen“ (AH Q2/2023).

Zweigeteilte Entwicklung bei der Arbeitslosigkeit – deutlicher Anstieg der Arbeitslosen, die Bürgergeld beziehen (SGB II)

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hessen hat sich nach dem pandemiebedingten Rückgang wieder erholt. Gleichzeitig gibt es jedoch eine zweigeteilte Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Hessen. Während sich der Arbeitslosenbestand im SGB III seit 2021 recht stark verringerte und 2022/2023 nur noch leicht über dem Niveau von 2019 bewegte (2023 gegenüber 2019: +2,3 %), nahm die Zahl der Arbeitslosen im SGB II (Bürgergeld) zwischen 2019 und 2023 dynamisch zu. Gegenüber 2019 beträgt der Zuwachs +18,4 %, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum kann ein Anstieg in Höhe von +9,9 % konstatiert werden (Zahlen beziehen sich auf gleitende Jahresdurchschnittswerte). 68,9 % aller Arbeitslosen entfielen im gleitenden Jahresdurchschnitt zwischen Mai 2022 und April 2023 auf das SGB II. (AH Q2, S. 1-3)

Starke Zunahme bei der Zahl der arbeitslosen Frauen in Hessen gegenüber März 2019

Im Vergleich von März 2019 und März 2023 kann bei beiden Geschlechtern jeweils eine starke Zunahme bei der Zahl der Arbeitslosen beobachtet werden (Frauen: +23,9 %; Männer: +12,3 %). Die wesentliche Ursache für den Anstieg ist das Aufeinanderfolgen der Corona-Pandemie und des Angriffskriegs auf die Ukraine.

Der Anstieg ist vor allem bei Frauen sehr ausgeprägt und ausschließlich auf den SGB-II-Rechtskreis (Bürgergeld) zurückzuführen. Seit dem ersten Halbjahr 2022 fanden insbesondere ukrainische Frauen (und ihre Familien) den Weg nach Deutschland und Hessen. Bemerkbar macht sich dies insbesondere an der starken Zunahme von arbeitslosen Frauen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Im März 2023 handelte es sich bei 51,6 % aller arbeitslosen Frauen um Ausländerinnen. Davon hatten wiederum 26,2 % ukrainische Staatsangehörigkeit, 24,9 % kamen aus den acht Asylherkunftsländern. Überdies verfügten rund zwei Drittel aller arbeitslosen Frauen nicht über eine abgeschlossene (oder anerkannte) Berufsausbildung (65,5 %). Bei knapp einem Drittel handelte es sich ferner um Langzeitarbeitslose (32,4 %). (AH Q2, S. 9f)

Arbeitslosenquote von Frauen mittlerweile höher als von Männern

Während die Arbeitslosenquote von Frauen im Verlauf der letzten Jahre immer niedriger ausfiel als bei Männern, ist dies, bedingt durch den Zuzug von Frauen aus der Ukraine, seit Sommer 2022 nicht mehr der Fall.

Der Frauenanteil bei Arbeitslosen mit deutscher Staatsangehörigkeit ging in den letzten Jahren zurück und lag im April 2023 bei 43,0 %. Bei Arbeitslosen ausländischer Staatsangehörigkeit lässt sich eine gegenläufige Entwicklung konstatieren. Der Frauenanteil belief sich im April 2023 auf 55,5 % und nahm gegenüber April 2017 um mehr als sechs Prozentpunkte zu. (AH Q2, S.10f)

Erwerbstätigen-Quoten von Migrantinnen deutlich niedriger als von Frauen ohne Migrationshintergrund und von männlichen Migranten

Hierauf wird in der „Fortschreibung des Hessischen Integrationsmonitors 2022“ des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration (HMSI) mit Blick auf das Jahr 2019 eingegangen. So fiel die Erwerbstätigenquote von 15- bis 64-jährigen Frauen mit Migrationshintergrund (63 %) sowohl gegenüber gleichaltrigen Frauen ohne Migrationshintergrund (76 %) als auch gegenüber der männlichen Vergleichsgruppe (76 %) spürbar niedriger aus. Ferner wird erwähnt, dass 29 % aller Frauen ohne und 40 % aller Frauen mit Migrationshintergrund atypisch beschäftigt waren. Bei Männern fielen die entsprechenden Anteile wesentlich niedriger aus (mit Migrationshintergrund: 23 %; ohne Migrationshintergrund: 10 %). (AH Q2, S.6)

Frauen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung stark unterrepräsentiert

Zum Stand September 2022 waren 45,5 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hessen Frauen. Allerdings waren nur 38,7 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ohne deutsche Staatsbürgerschaft Frauen. Besonders gering war der Frauenanteil unter sv-pflichtig beschäftigten Ausländer*innen aus den acht Asylherkunftsländern. Er lag im September 2022 nur bei 18,2 %. Die Daten lassen darauf schließen, dass insbesondere ausländische Frauen im Rahmen der sv-pflichtigen Beschäftigung stark unterrepräsentiert sind. (AH Q2, S.7)

Schlechtbezahlte „Frauenberufe“ – kaum Bewegung bei geschlechtstypischer Verteilung auf Berufe. Unbereinigter Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen bei 21 %

Frauen erzielten im Durchschnitt des Jahres 2022 in Hessen einen Bruttostundenverdienst in Höhe von 21,35 Euro. Männer erhielten durchschnittlich 26,90 Euro je Stunde. Der unbereinigte Verdienstunterschied betrug damit 21 %. Der unbereinigte Verdienstunterschied misst die Unterschiede des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes zwischen Frauen und Männern. Lohnbeeinflussende Faktoren wie z. B. Qualifikation, Beschäftigungsumfang, Berufserfahrung, Berufsfeld oder Branche werden beim unbereinigten Verdienstunterschied nicht berücksichtigt. (AH Q2, S.8f)

Sprunghafter Anstieg von Regelleistungsberechtigten in der Grundsicherung

Auf Grund des Zuzuges aus der Ukraine ist die Zahl der Regelleistungsberechtigten im SGB II seit Mai/Juni 2022 stark angestiegen. Hierbei ist die Zahl der Frauen noch deutlich stärker gestiegen als der Männer, was den Frauenüberhang unter allen Regelleistungsberechtigten im letzten Jahr vergrößerte. Gegenüber Mai 2022 hat sich die Zahl der Frauen im Regelleistungsbezug (+15,8 %) wesentlich stärker erhöht als bei Männern (+8,5 %). Zwischen Januar 2022 und 2023 stieg der Frauenanteil unter den Regelleistungsberechtigen von 50,5 % auf 52,2 %. (AH Q2, S.12)

Alleinerziehende besonders von Armut gefährdet

Die besonderen Herausforderungen und Risiken von Alleinerziehenden schlagen sich in der gruppenspezifischen SGB-II-Hilfequote sowie Armutsgefährdungsquote für das Jahr 2021 nieder. Während durchschnittlich 7,9 % aller hessischen Haushalte Leistungen aus der Grundsicherung bezogen, waren es bei Alleinerziehenden-Haushalten 33,5 %. Die Armutsgefährdungsquote betrug bei ihnen – gemessen am Landesmedian – 45,3 %. (AH Q2, S.13f)

Trotz Anstieg der Arbeitslosen, die Bürgergeld beziehen, deutlich weniger Fördermaßnahmen. Frauen bei der Förderung unterrepräsentiert

Insgesamt belief sich der Bestand im Dezember 2022 auf knapp 22.000 Personen. Drei Jahre zuvor betrug die Zahl noch etwa 27.600. Dies entspricht einem Rückgang in Höhe von -23,4 %. Bei Frauen sank der Bestand in der betrachteten Zeitspanne von etwa 11.400 auf 9.300 Personen (-18,3 %), bei Männern reduzierte er sich von 16.200 auf 11.800 Personen (-26,9 %). Die Rückgangsdynamik ist bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen. Im Dezember 2022 machten Frauen anteilig 44,1 % am Bestand der Geförderten aus. Die Quote spiegelt damit nicht den Frauenanteil unter allen Arbeitslosen im SGB-II-Bereich wider, welcher sich zum Stand Dezember 2022 auf 50,4 % bezifferte. Ähnliche Diskrepanzen zwischen Arbeitslosen- und Förderanteilen lassen sich auch für vorherige Monate (und Jahre) feststellen. Unter den Geförderten sind Frauen dementsprechend unterrepräsentiert. (AH Q2, S.14f)

Deutlicher Ausbau bei den Kinderbetreuungsplätzen, aber immer noch unter dem Betreuungsbedarf der Eltern

Das Kinderbetreuungsangebot in Hessen wurde in den letzten Jahren insbesondere bei den unter Dreijährigen und im Ganztagsbereich deutlich ausgebaut. Bei unter Dreijährigen gab es eine starke Expansion der Betreuung. So stieg die Zahl der betreuten Kinder (+40,9 %) deutlich stärker als die gleichaltrige Bevölkerung (+16,1 %). Als Konsequenz hat die Betreuungsquote von 25,7 % im Jahr 2013 auf 31,3 % im Jahr 2021 zugenommen (+5,6 Prozentpunkte). Auch die Ganztagsangebote im gesamten vorschulischen Bereich sind deutlich gestiegen. (Unter Dreijährige: +4,5 % Prozentpunkte; Drei- bis Fünfjährige: + 8,1 %).

Trotzdem ist der Bedarf nach Kinderbetreuungsangeboten nach wie vor höher als das Angebot. In Hessen meldeten 2021 zwar 47,2 % aller befragten Eltern einen Betreuungsbedarf an, die tatsächliche Betreuungsquote lag jedoch wie oben erwähnt nur bei 31,3 %. Damit betrug die Betreuungslücke bei unter Dreijährigen 15,9 Prozentpunkte. Hessen wies hinter Rheinland-Pfalz und Bremen die dritthöchste Lücke auf. Gemessen an der Betreuungslücke hat Hessen im bundesweiten Vergleich folglich einen eher großen Ausbaubedarf. (AH Q2, S.16f)

Fazit: Mehr Qualifikations- und Grundbildungsangebote für Frauen, die Bürgergeld beziehen

Die LAG Arbeit in Hessen sieht die steigende Arbeitslosigkeit im SGB II kritisch. Besonders stark gestiegen ist die Zahl der Frauen, die Bürgergeld beziehen. Die hessische Sozial- und Arbeitsmarktpolitik muss einen stärkeren Fokus auf die vielen Menschen richten, die Bürgergeld beziehen. Menschen mit niedrigem Bildungsniveau müssen mehr Qualifikations- und Grundbildungsangebote gemacht werden. Qualifizierte und auskömmliche Arbeit bedeutet Teilhabe an der Gesellschaft. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik darf die Förderung und Qualifikation benachteiligter Menschen nicht aus den Augen verlieren.