Mehr Qualifikationsangebote für zugewanderte Menschen notwendig

Deutlicher Anstieg der Arbeitslosen im SGB II bei gleichzeitig massiv gesunkenem Angebot an Qualifikationsmaßnahmen. Zugewanderte Menschen besonders stark betroffen.

Arbeitsmarkt-Report Hessen Ausgabe 1. Quartal 2023

Die Autoren Stefan Feldens und Philipp Fuchs vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG)  geben im vorliegenden Bericht einen Überblick über die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Hessen und werten Daten zur Beschäftigungsentwicklung von zugewanderten Menschen aus. Hier finden Sie den ausführlichen Report Ein datengestützter Blick auf die Arbeitsmarktentwicklung bei Menschen mit Migrationshintergrund und ausländischer Staatsangehörigkeit in Hessen (AH Q1/2023), der im Auftrag der LAG Arbeit in Hessen verfasst wurde.

Zweigeteilte Entwicklung der Arbeitslosigkeit – während die Zahl der Arbeitslosen im SGB III sinkt, steigt die Zahl der Arbeitslosen im SGB II stark an
(Entnommen: AH Q1/2023, S. 2)

Der jahresdurchschnittliche Arbeitslosenbestand im SGB III ist seit 2021 recht stark gesunken und 2022 unterhalb des Niveaus von 2019 gefallen (2022 gegenüber 2019: -2,2 %). Gleichzeitig stieg die jahresdurchschnittliche Zahl der Arbeitslosen im SGB II seit 2019 sukzessive an. Gegenüber 2019 beträgt der Zuwachs +16,6 %, gegenüber 2021 kann eine Zuwachsrate in Höhe von +2,4 % konstatiert werden. 67,7 % aller Arbeitslosen entfielen 2022 auf das SGB II.

Gruppenspezifisch gab es insbesondere zwischen Deutschen und Ausländer*innen eine divergierende Entwicklung. Während die Zahl der Arbeitslosen bei Deutschen seit 2021 kräftig sank und 2022 wieder das Vorkrisenniveau erreichte, ist sie bei Ausländer*innen sowohl gegenüber 2019 (+26,2 %) als auch im Vergleich zu 2021 (+2,0 %) relativ stark gestiegen. Bei 43,6 % aller von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen handelte es sich 2022 um Ausländer*innen. Im Vergleich zu 2019 ist die Quote um fast sechs Prozentpunkte gestiegen.

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich zwischen 2019 und 2022 stark erhöht (+25,8 %). Im Jahr 2022 entspannte sich die Situation zusehends. Gegenüber 2021 sank die Zahl um -10,3 %. Der Bestand an Langzeitarbeitslosen liegt aber mit einem Mehr an 12.200 Betroffenen weiterhin deutlich über dem Vorkrisenniveau. Zum Stand Januar 2023 war ferner über die Hälfte länger als 24 Monate arbeitslos.

Das Risikoprofil der (Langzeit-)Arbeitslosen im SGB II hat sich in qualifikationsspezifischer Hinsicht in den letzten Jahren verschlechtert. Etwa vier von zehn Betroffenen haben keinen Schulabschluss, rund drei Viertel verfügen nicht über eine abgeschlossene (oder anerkannte) Berufsausbildung (Stand: Dezember 2022). Hinzu kommen vermehrt Sprachdefizite durch die größer werdende Relevanz von Ausländer*innen mit jüngerer Zuwanderungsgeschichte innerhalb des Arbeitslosenbestands.

Arbeitslosigkeit im SGB II – starker Anstieg bei zugewanderten Menschen
(Entnommen: AH Q1/2023, S. 9)

Bereits mit Beginn der Corona-Krise ist die Zahl der Arbeitslosen im SGB II in Hessen (wie bundesweit) stark gestiegen. Seit Mai 2022 ist eine sprunghafte Zunahme der Arbeitslosigkeit im SGB-II-Rechtskreis zu beobachten, die maßgeblich auf Menschen aus der Ukraine (+3.415,6 % Mai 2022 bis Januar 2023) sowie auf Personen aus den acht Asylherkunftsländern (+13,0 % Mai 2022 bis Januar 2023) zurückzuführen ist.

Immer mehr Arbeitslose im SGB II haben keinen Berufsabschluss, zugewanderte Menschen haben besonders hohen Qualifikationsbedarf
(Entnommen AH Q1/2023, S. 10)

Die Mehrheit der Arbeitslosen im SGB-II-Rechtskreis verfügt nicht über einen Berufsabschluss (76,4 %), wobei zwischen Deutschen und Ausländer*innen nennenswerte Differenzen existieren. Zum Stand Januar 2023 hatten 63,2 % aller deutschen und 87,3 % aller ausländischen Arbeitslosen keinen absolvierten, anerkannten oder nachweisbaren Berufsabschluss. Bei Geflüchteten aus den acht Asylherkunftsländern belief sich der Anteil sogar auf 94,4 %. Für ukrainische Geflüchtete lagen zum Qualifikationsniveau noch keine belastbaren Daten vor. Angesichts des stark formalisierten und segmentierten deutschen Arbeitsmarktes sind die Anteilswerte mit weitreichenden Herausforderungen für die Integrations- und Arbeitsmarktpolitik verbunden.

Zu wenig Qualifikationsangebote für Arbeitslose im SGB II – Menschen aus den acht Asylherkunftsländern besonders betroffen

(Entnommen AH Q1/2023, S. 13)

Die obige Abbildung zeigt die Entwicklung monatlicher Bestände arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen im SGB-II-Rechtskreis für den Zeitraum zwischen Oktober 2019 und Oktober 2022. Offensichtlich wird, dass sich der Bestand seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 trotz seither gestiegener Arbeitslosigkeit im SGB-II-Rechtskreis reduziert hat. Im Oktober 2022 ist der Bestand gegenüber Oktober 2019 insgesamt um -24,2 % gesunken. Vergleichbare Rückgangsdynamiken lassen sich bei Deutschen (-24,6 %) und Ausländer*innen (-23,6 %) feststellen. Besonders kritisch zu sehen ist die übermäßig starke Reduktion bei Menschen aus den acht Asylherkunftsländern (-34,7 %), da die Zahl der Arbeitslosen im SGB-II-Rechtskreis bei dieser Gruppe zeitgleich um +18,0 % anstieg. Für Geflüchtete aus der Ukraine liegen bisher noch keine aussagekräftigen Daten vor.

Fazit: Mehr Qualifikations- und Grundbildungsangebote für benachteiligte Menschen

Die LAG Arbeit in Hessen sieht die steigende Arbeitslosigkeit im SGB II kritisch. Der großen Anzahl von Menschen mit niedrigem Bildungsniveau müssen mehr Qualifikations- und Grundbildungsangebote gemacht werden. Qualifizierte und auskömmliche Arbeit bedeutet Teilhabe an der Gesellschaft. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik darf die Förderung und Qualifikation benachteiligter Menschen nicht aus den Augen verlieren.