Besorgnis erregend: Langzeitarbeitslose werden deutlich seltener als 2019 in Qualifikationsangebote vermittelt
Arbeitsmarkt-Report Hessen, Ausgabe 4. Quartal 2023 – Ein datengestützter Blick auf Entwicklungen und Strukturen der Langzeitarbeitslosigkeit und des Leistungsbezugs in Hessen (AH Q4/2023)
Die Autoren Stefan Feldens und Philipp Fuchs vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) geben im vorliegenden Bericht zunächst einen Überblick über die allgemeine Entwicklung des Arbeitsmarktes in Hessen (Kapitel 1). Der besondere Schwerpunkt dieser Ausgabe liegt auf der Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit in Hessen (Kapitel 2). Der Report schließt mit einer Zusammenfassung der Autoren (Kapitel 3). Der Report wird im Auftrag der LAG Arbeit in Hessen verfasst. Hier finden Sie den ausführlichen Report als PDF-Dokument. Im Folgenden fassen wir die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte des Reportes zusammen.
Im November 2023 waren in Hessen 44 % mehr Menschen langzeitarbeitslos als im November 2019
Angesichts der Wirtschaftsschwäche entwickelt sich der Arbeitsmarkt in Hessen (und Deutschland) insgesamt robust. Im März 2023 gingen rund 2,74 Mio. Menschen in Hessen einer sv-pflichtigen Beschäftigung nach. Die Zahl liegt damit nahe am bisherigen Allzeithoch, das aus September 2022 stammt. Gegenüber März 2019 kann ein Zuwachs in Höhe von +4,3 % beobachtet werden, verglichen mit dem Vorjahr beläuft sich der Anstieg auf +1,5 %. Zu denken gibt allerdings der kräftige Anstieg der Zahl der Langzeitarbeitslosen. Als langzeitlos gelten Personen, wenn sie seit mindestens zwölf Monaten arbeitslos sind. Zwischen November 2019 und 2023 stieg die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Hessen (wie bundesweit) deutlich dynamischer als die Gesamtzahl der Arbeitslosen (+44,1 % gegenüber +27,0 %).
Oben stehende Daten und Abbildung AH Q4/2023, S. 4f
Qualifikatorische Vermittlungshemmnisse: 40 % der Langzeitarbeitslosen in Hessen hatten im November 2023 keinen Schulabschluss
Zum Stand November 2023 hatten rund vier von zehn langzeitarbeitslosen Personen keinen Hauptschulabschluss (39,8 %). Etwa sieben von zehn Betroffene besaßen keine abgeschlossene (oder anerkannte) Berufsausbildung (71,6 %). Korrespondierend hierzu galten fast drei Viertel als geringqualifiziert (72,9 %) und kamen knapp zwei Drittel (64,0 %) maximal für die Ausübung von Helfer-Tätigkeiten infrage.
Oben stehende Daten und Tabelle AH Q4/2023, S.7
Zahl der Arbeitslosen im SGB II (Bürgergeld) steigt viel stärker als im SGB III (Arbeitslosenversicherung)
Im Folgenden werden Jahresdurchschnittszahlen genannt, während in den oberen Absätzen Monatsbestände verglichen wurden. Betrachtet man den gleitenden Jahresdurchschnitt zwischen Dezember 2022 bis November 2023, dann bezifferte sich der Arbeitslosenbestand in Hessen auf knapp 180.100 Menschen. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum ist er um +10,1 % (bzw. +16.500 Menschen) gestiegen, im Vergleich zu 2019 hat er sich um +20,3 % (bzw. +30.500 Personen) erhöht. Während sich der Arbeitslosenbestand im SGB III seit 2021 wieder stark verringerte und 2023 nur leicht über dem Niveau von 2019 bewegte (2023 gegenüber 2019: +3,3 %), gab es im SGB II zwischen 2019 und 2023 eine kräftige Zunahme. Gegenüber dem Basiszeitraum 2019 beträgt der Zuwachs +29,9 %, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stieg die Arbeitslosenzahl um +12,9 %. Auf Basis von Monatsdaten gab es seit September 2023 saisonbedingt zwar wieder einen leichten Rückgang, saisonbereinigte Daten deuten aber auf eine tendenziell weiter steigende Arbeitslosigkeit hin. 69,1 % aller Arbeitslosen entfielen im gleitenden Jahresdurchschnitt zwischen Dezember 2022 und November 2023 auf das SGB II.
Oben stehende Daten und Tabelle AH Q4/2023, S.2 f
Zahl der Menschen, die in Fördermaßnahmen des SGB II (Bürgergeld) qualifiziert werden, seit 2019 stark gesunken
Im Rechtskreis SGB II reduzierte sich die Gesamtzahl der Arbeitslosen, die innerhalb von 12 Monaten mit einer Qualifikationsmaßnahme starteten (Neueintritte), von rund 160.600 im Zeitraum Sept. 2018 bis Sept. 2019 auf etwa 98.300 Fälle im Zeitraum Sept. 2022 bis Sept 2023, was einem Rückgang von -38,8 % entspricht. Bei den Langzeitarbeitslosen im SGB II, die mit einer Qualifikationsmaßnahme starteten, sank die Zahl von knapp 31.100 auf rund 21.200 Fälle, was einer Schmälerung um -31,8 % gleichkommt.
Oben stehende Daten und Tabelle AH Q4/2023, S.13 f
LAG Arbeit fordert: Mehr Qualifikationsmaßnahmen statt weniger
Der vorliegende Bericht zeigt eine besorgniserregende Entwicklung. Während die Zahl der Langzeitarbeitslosen stark steigt und das Qualifikationsniveau der langzeitarbeitslosen Menschen sinkt, werden immer weniger Menschen in Qualifikationsmaßnahmen vermittelt. Die LAG Arbeit in Hessen fordert die Politik auf, einer Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit und den negativen Folgen für die Betroffenen und ihre Kinder entgegenzuwirken. Langzeitarbeitslose sollten nach Kräften motiviert, gefördert und nachqualifiziert werden. Der größer werdenden Gruppe von Ausländer*innen mit jüngerer Zuwanderungsgeschichte und Sprachdefiziten, sollten vermehrt berufsqualifizierende Angebote mit Sprachförderung gemacht werden. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik muss den negativen Trend bei der Qualifizierung umkehren und effektive politische Maßnahmen ergreifen, damit mehr benachteiligte Menschen in Qualifikationsmaßnahmen gefördert werden.